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Seminar: Wozu gibt es Religion? Die Theologie des Marcus Tullius Cicero (106-43), die christliche Apologetik und einige aktuelle Fragen – Lektüre ausgewählter Texte seines Buchs „De natura deorum“ - Details
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Lehrveranstaltung wird in Präsenz abgehalten.

Allgemeine Informationen

Veranstaltungsname Seminar: Wozu gibt es Religion? Die Theologie des Marcus Tullius Cicero (106-43), die christliche Apologetik und einige aktuelle Fragen – Lektüre ausgewählter Texte seines Buchs „De natura deorum“
Veranstaltungsnummer 01 037
Semester SS 2024
Aktuelle Anzahl der Teilnehmenden 5
erwartete Teilnehmendenanzahl 20
Heimat-Einrichtung Fundamentaltheologie
Veranstaltungstyp Seminar in der Kategorie Lehre
Nächster Termin Dienstag, 07.05.2024 10:00 - 11:30, Ort: (D-4142)
Online/Digitale Veranstaltung Veranstaltung wird in Präsenz abgehalten.
Hauptunterrichtssprache deutsch
Literaturhinweise Literatur: Marcus Tullius Cicero: De natura deorum, lateinisch-deutsch, hg. v. Ursula Blank-Sangemeister, Stuttgart 1995; David Hume: Dialoge über natürliche Religion (Dialogues concernung Natural Religion), übs. u. hg. v. Norbert Hoerster, Stuttgart 2016; weitere Literatur wird im Seminar angegeben.
Sonstiges Sprechstunde nach vorheriger Vereinbarung per Mail

Räume und Zeiten

(D-4142)
Dienstag: 10:00 - 11:30, wöchentlich (13x)

Modulzuordnungen

Kommentar/Beschreibung

Ein skeptischer Papst diskutiert mit prominenten Vertretern philosophischer Richtungen und weist ihnen Fehler in der Argumentation nach. Er selber entwirft einen radikal skeptischen Ansatz und ist sich gar nicht so sicher, warum es sinnvoll sein könnte, von Gott zu reden. Klingt merkwürdig, ist aber der Plot eines großartigen Buches in Dialogform, das Cicero vor 2068 Jahren (!) geschrieben hat. Nur ist sein „Papst“ der (natürlich vorchristliche) römische Pontifex Cotta, der mit einem Epikuräer und einem Stoiker diskutiert. Cotta genießt es, ironisch die hilflosen Versuche der philosophischen Fachleute zu durchlöchern und alles infrage zu stellen. Da ist einiges zu lernen.
1. Diese antike „pagane“ Fundamentaltheologie schrieb Cicero. Sie wirkt in den apologetischen Texten der christlichen Antike nach und hat immer wieder Philosophen angeregt. Das Buch heißt: „De natura deorum“ („Vom Wesen der Götter“). Paulus dürfte seine Schwierigkeiten gehabt haben, auf diesem Niveau mitzuhalten (er ignoriert solche Fragen leider, obwohl er sie zu kennen scheint). Laktanz, der als Kirchenvater bezeichnet wird, schmuggelt zum Ende des 3. Jh. gezielte Fehldeutungen in die vorchristliche Philosophie hinein, die leider bis heute nachwirken. Den toleranten römischen Kaiser Diokletian, der ihm einen Lehrstuhl als Rhetor beschaffte und ihm seinen Sohn zur Erziehung anvertraute, beschimpfte er posthum als monströsen Christenverfolger. Hier spricht der Hass der neuen Mächtigen, die sich nach Kaiser Konstantin breitmachen. Augustinus ist da ehrlicher; er hätte ohne Cicero nicht viel Systematisches zu bieten, wie er selber weiß und sagt. Aber auch er schlägt auf die Arme ein, die ihn und seinen Glauben offen aufgenommen haben.
2. Damit kommt die zweite Frage: Warum mochten die tatsächlich religiösen römischen Intellektuellen das Christentum nicht (und umgekehrt)? Wie sahen Christen in ihren Augen aus? Gar nicht gut, das wissen wir aus vielen Zeugnissen, die tolerant sind, aber sich über die Ansprüche der neuen Religion nur wundern – in ihren Augen sind es Fanatiker oder schlicht Fundamentalisten. Die systematischen Christenverfolgungen, von denen Lactanz und Euseb von Caesarea (und nach ihnen viele andere) geradezu fanatisch erzählen, gab es in dieser Weise gar nicht. Wohl aber hat das Christentum, sobald sie im 4. Jh. die römische Reichs- und Staatskirche bildeten, systematisch die „Heiden“ verfolgt. Eine Projektion oder ein Versuch, die eigenen Untaten durch die angeblichen Untaten der Anderen zu rechtfertigen?
3. David Hume, der große Philosoph der schottischen Aufklärung, hat Ciceros Buch in einem kurzen Dialog aufgegriffen („Dialogues concerning Natural Religion“ 1779). Er hat den Text aber erst nach seinem Tod veröffentlichen lassen, um den Konflikt mit der anglikanischen Kirche zu entgehen. Vor, neben und nach ihm haben viele Theologen und Philosophen sich auf Cicero berufen, vor allem mit großer Liebe Luther, Montaigne, Voltaire und Friedrich II. Ohne Cicero sähe die intellektuelle Landschaft nicht nur in Europa anders aus.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Menschen damals nicht dümmer waren als wir und außerdem die Fragen, die wir noch immer haben, sehr klug diskutierten: Was lässt sich aus dieser spannenden Diskussion lernen, die bis heute anhält? Was lässt sich aus den Fundamentalismen der antiken Kirche lernen (die viel zu oft alles definieren und alles verfolgen wollten, was sich ihnen nicht fügte)? Was haben große Intellektuelle von Cicero gelernt? Die damalige Zeit ähnelt unserer Zeit, ihre Fragen entsprechen unseren Fragen. Aber: Ihre Lösungen stellen unsere Lösungen in Frage.
In diesem Seminar sollen 1. die Positionen zur Gottesfrage besprochen werden, die Cicero in seiner „Fundamentaltheologie“ entwickelt. 2. Außerdem stellt sich die nicht nur historische Frage, warum die römischen (und überhaupt hellenistischen) Intellektuellen das Christentum zwar respektierten, aber bedenklich fanden und sozusagen vom Verfassungsschutz beobachten ließen. Das ist eine Frage des interreligiösen Dialogs, der damals geführt wurde und nicht zuletzt an vielen christlichen Dialogpartnern scheiterte. Wer hat hier den Konflikt gesucht und, vor allem, warum? 3. Und schließlich: Cicero wirkt bis heute mächtig nach. Hume und natürlich Kant, der ihn als seinen entscheidenden Anreger nennt, beziehen sich auf ihn. Mit dem Ende der Aufklärungsphilosophie (ausgerechnet!) schwindet das Interesse an Cicero. Aktuell, nach dem Ende der großen philosophischen Systeme, wächst es wieder. Auch die christliche Theologie hat sich entwickelt, indem sie sich seit 2000 Jahren mit ihm und anderen, bei ihm genannten Denkern auseinandersetzt. Die Fragen, mit denen alles damals begonnen hat, sind auch die Fragen, die heute diskutiert werden, innerhalb und vor allem außerhalb der universitären Diskurse. Der ghanaische Philosoph Kwame Anthony Appiah (geb. 1954), der in New York lehrt, erzählt: Auf dem Nachttisch seines Vaters hätten immer zwei Bücher gelegen, die Bibel und ein Buch Ciceros über das, wofür es sich zu leben lohnt („De finibus“).